Es war einmal …

… in einem Land, das sich rühmt, eines der besten Rechtssysteme unter den demokratischen Staaten zu haben -Deutschland. Und auch in diesem Land gibt es Defizite.

Mit der Novellierung des Tierschutzgesetzes im Jahr 2012 gab es einige Veränderungen, die weitreichende Auswirkungen auf den Tierschutz hatten. Im Zusammenhang mit dieser Seite ist natürlich der § 3 Satz 13 TSchG bemerkenswert, der neu eingeführt wurde und sexuelle Akte mit Tieren regelt (siehe dazu auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts am 08.12.2015 – 1 BvR 1864/14 [1]).

Für das Tierwohl bedeutender waren jedoch die Änderungen, die sich für die Agrarindustrie ergaben, vor allem für Schweinezucht- und -mastbetriebe. So ist es auch noch zu Beginn des 21. Jahrhunderts in einem Land, in dem Tierrechte sogar in der Verfassung stehen (Artikel § 20a GG), üblich, Ferkel ohne Betäubung zu kastrieren. Also im Klartext, es werden den jungen Tieren ohne Betäubung die Eier abgeschnitten. Jederman(n) kann sich sicher gut vorstellen , welche höllischen Schmerzen das bedeuten muss.

Warum will man Eber kastrieren? Nun, weil das Fleisch einiger Eber nach Eber riecht. Etwa 30% aller Menschen nehmen beim Erhitzen von Eberfleisch einen unangenehmen, urinartigen Geruch war. Verursacht wird dieser Geruch durch Androstenon und Skatol, welches im Hodengewebe von Ebern gebildet wird [2].

Mit der oben genannten Änderung des Tierschutzgesetzes sollte es verboten werden, Ferkel weiterhin betäubungslos zu kastrieren. Die damalige Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner feierte das Gesetz als großen Fortschritt.

Der sogenannte Fortschritt war aber in Wirklichkeit vor allem grandiose Lobbyarbeit. Landwirtschaftsverbände erreichten, dass es für die Ferkelkastration eine Übergangsfrist geben sollte. Ausgehandelt wurde im Agrarausschuss eine Frist bis zum 01. Januar 2017. Beschlossen wurde dann von CDU/CSU und FDP sogar eine Übergangsfrist bis zum 01. Januar 2019 [3][4].

Inzwischen sind wir im Jahr 2019. Ist also jetzt alles gut für Masteber, die ihr kurzes, trostloses Leben in einem Mastbetrieb fristen müssen? Nein, leider nicht. Nicht nur, weil die geplanten Änderungen im Rahmen des „Tierwohl-Label“ der heutigen Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner ein zynischer Witz sind. Sondern auch, weil unsere Bundesregierung Ende des letzten Jahres beschlossen hat, die Übergangsfrist um weitere zwei Jahre zu verlängern [5].

Begründet wurde es damit, dass es vor allem für kleinere Betriebe keine „marktgängigen oder praktikable Alternativen“ gäbe [6].

Das ist allerdings Mumpitz. Diese gibt es natürlich. Man kann die Eberferkel vor dem Eingriff lokal betäuben oder gegen den Ebergeruch impfen, die sogenannte Immunokastration („chemische Kastration“) [7]. Beides kostet natürlich Geld. Nicht viel, nur einen geringen zweistelligen Betrag. Aber in einem Land, dessen Bürger erwarten, dass Fleisch ein billiges Massenprodukt ist, sind selbst 15 Euro mehr pro Schwein zu viel.

Und das in Deutschland, in dem seit Jahren erbittert über ein paar Mikrogramm Stickoxide mehr oder weniger in der Stadtluft gestritten wird, aber die Schmerzern von Millionen Ferkeln total egal sind.

Quellen:
[1] https://www.zoophil.org/klarstellung-des-bundesverfassungsgerichts/
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Ebergeruch
[3] https://www.topagrar.com/management-und-politik/news/koalition-beschliesst-aenderungsantrag-zur-tierschutznovelle-9542866.html
[4] https://www.topagrar.com/management-und-politik/news/ferkelkastration-erst-2019-und-kein-brandzeichenverbot-9601553.html
[5] https://www.zeit.de/2018/46/ferkelkastration-betaeubung-tierrechte-union-spd-bundestag
[6] https://www.zeit.de/politik/deutschland/2018-11/ferkel-kastration-ohne-betaeubung-connemann-cdu-bauern
[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Immunokastration#Immunokastration_in_der_Schweinemast

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